Eckpunkte des „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ – Unsere Anmerkungen

Der öffentliche und politische Druck durch den Skandal, um die sehr hohen Infektionszahlen der Beschäftigten mit dem Coronavirus der Fleischindustrie haben dazu geführt, dass sich ein Zeitfenster geöffnet hat zur Regelung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Insbesondere Werkverträge mit Sub-Unternehmen, Unterbringung und Arbeitsbedingungen insgesamt, stehen in der Kritik. Das ist „nichts Neues“, aber die massenhaften Infektionen mit dem Coronavirus haben die Verantwortlichen jetzt zum Handeln gezwungen. Gerade für uns in Niedersachsen ist dieses Thema von wichtiger Bedeutung, über 20.000 Menschen arbeiten zwischen Harz und Nordsee in der Fleisch-Industrie, teilweise in riesigen Schlachthöfen mit hunderten Beschäftigten.

Es darf jetzt nicht nur bei den Versprechen der Bundesregierung bleiben, sondern wir müssen aktiv bleiben und die konsequente Umsetzung fordern!

Die Text in den Kästen ist jeweils die Wortlaute der Eckpunkte des Kabinettsbeschlusses der Bundesregierung.

von Jutta Krellmann, MdB, Sprecherin für Arbeit und Mitbestimmung
Heidi Reichinnek, Landesvorsitzende

Der Zoll und die Arbeitsschutzverwaltungen sollen, auch in Zusammenarbeit mit den Berufsgenossenschaften sowie den kommunalen Ordnungs- und Gesundheitsämtern, zeitnah die erforderlichen zusätzlichen Maßnahmen ergreifen, um die Einhaltung der Arbeits-, Infektions- und Gesundheitsschutzstandards durch die Arbeitgeber und Werkvertragsunternehmen insbesondere in der Fleischwirtschaft, in denen häufig eine Gemeinschaftsunterbringung von eigenen, überlassenen oder bei Werkvertragsunternehmen beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erfolgt, sicherzustellen. Dazu sind auch gemeinschaftliche Schwerpunkteinsätze vorzusehen.

Die Bundesregierung wird eine Novelle des Arbeitsschutzgesetzes (FF: BMAS) vorlegen, um das gemeinsame Ziel besserer Kontrolle wirkungsvoll voranzubringen. Wir streben an, die Überwachungsquote durch die Arbeitsschutzbehörden der Länder verbindlich und deutlich zu erhöhen (vgl. Bund-Länder-Einigung zum Arbeitsschutz und Beschluss der 96. Arbeits- und Sozialministerkonferenz) sowie in Betrieben und Branchen mit einem höheren Risiko für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten Schwerpunkte zu setzen. Ferner soll der Arbeitsschutz im Verhältnis zwischen Auftraggeber und Werkvertragsunternehmer gestärkt und besser kontrolliert werden

können. Im Falle einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite sollen – sofern nötig - spezifische verbindliche Arbeitsschutz- und Hygienemaßnahmen (u.a. in Unterkünften) kurzfristiger ermöglicht werden.

 

Derartige Maßnahmen sind dringend erforderlich. Allerdings ist durch unsere kleine Anfrage zum Arbeitsschutz klar geworden, dass die Arbeitsschutzbehörden massiv überlastet sind. Es ist zu befürchten, dass die Behörden entweder nicht in der Lage sind dieses Ziel kurzfristig zu erreichen oder nur, wenn sie Beratung und Kontrolle in anderen Bereichen herunterfahren. 

Eine Novellierung des Arbeitsschutzgesetzes war bereits vor Corona in der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) beraten und beschlossen. Bis 2026 soll eine Kontrollquote von 5 % erzielt werden. Eine solche Quote ist kritisch zu sehen. Sie muss zwingend durch qualitative Maßnahmen der Arbeitsschutzkontrolle ergänzt werden, sonst läuft sie fehl. Außerdem kann sie nur erreicht werden, wenn eine breite Aufstockung des Personals in den Behörden erfolgt und die Abläufe verbessert werden.

In der ASMK gab es bereits erhebliche Zweifel, ob die Quote von 5 % bis 2026 überhaupt erreicht werden kann, ob ausreichend Arbeitsschutzkontrolleur*innen am Arbeitsmarkt vorhanden sein werden und wie die Kosten getragen werden können. Die liefern keine Antwort, wie dieses Problem gelöst werden könnte.

Eine höhere Quote für Branchen mit einem höheren Risiko für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten war im ASMK-Beschluss noch nicht vorgesehen. Eine solche Differenzierung kann aber sinnvoll sein und die Arbeit der Behörden erleichtern.

Bisher gibt es im Verhältnis Auftraggeber und Subunternehmen nur die Verpflichtung nach § 8 ArbSchG bei der Durchführung der jeweiligen Maßnahmen zusammenzuarbeiten. Die gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie hat hierzu noch im Jahr 2019 ein Arbeitspapier veröffentlicht. Das Problem ist also bereits bekannt. Die Formulierung in den Eckpunkten und der Hinweis auf eine Novelle des ArbSchG lassen vermuten, dass eine Regelung nicht nur für die Fleischindustrie, sondern für alle Branchen gedacht ist, was zu begrüßen wäre.

Die Zusammenarbeit zwischen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit und den Arbeitsschutzbehörden zu verstetigen ist sinnvoll. Beide Behörden ermitteln bei ihren Betriebsprüfungen Sachverhalte, die auch für die andere Behörde von Interesse ist. Hier bestehen Möglichkeiten für Synergien, die angesichts des Personalmangels in beiden Behörden unbedingt genutzt werden sollten. In der ergänzenden Berichterstattung des zuständigen Ausschusses wurde bereits berichtet, dass die Möglichkeit der Zusammenarbeit beider Behörden durch eine „Task Force“ ausgelotet werden soll.

In der aktuellen epidemischen Lage liegt es in der Verantwortung der Arbeitgeber auch bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Standards zu Vermeidung von Infektionsrisiken am Arbeitsplatz sowie bei deren Unterbringung sicherzustellen. Die Bundesregierung prüft, wie eine dauerhafte Verpflichtung der Unternehmen zur Sicherstellung von Mindeststandards in allen Fällen bei der Unterbringung sichergestellt werden kann und zwar unabhängig davon, ob diese in eigens gestellten oder vermittelten Unterkünften erfolgt.

 

Der Hinweis auf die besondere Situation ausländischer Beschäftigter ist wichtig. Sie sind es, die von Problemen in Bezug auf Unterkünfte fast ausschließlich betroffen sind. Auch andere Methoden des Missbrauchs und der Ausbeutung bei Bezahlung, Arbeitszeit und Gesundheitsschutz nutzen aus, dass die betroffenen Kolleg*innen meist nur über geringe deutsche Sprachkenntnisse verfügen. Die besondere Schutzbedürftigkeit von ausländischen Beschäftigten muss besonders berücksichtigt werden.

Die ArbStättV legt in ihrem Anhang Nr. 4.4 bzw. in den ASR 4.4 Mindeststandards für Unterkünfte fest. In der ergänzenden Berichterstattung des zuständigen Ausschusses wurde berichtet, dass geprüft werden soll, ob diese Standards ausreichend sind. Die Frage ist aber, ob sie überhaupt angewandt werden können. So hatte zum Beispiel Niedersachen als Reaktion auf den tödlichen Brand von Unterkünften von Werksvertragsbeschäftigten der Meyer-Werft die ASR 4.4 als Teil der Bauordnung übernommen. Allerdings hatte selbst diese Maßnahmen keinen nachhaltigen Effekt auf die Verbesserung der Wohnbedingungen.

Ab dem 1. Januar 2021 soll das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch in Betrieben der Fleischwirtschaft im Sinne des § 6 Absatz 10 Arbeitnehmer- Entsendegesetzes nur noch von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des eigenen Betriebes zulässig sein. Damit wären Werkvertragsgestaltungen und Arbeitnehmerüberlassungen nicht mehr möglich. Bei der Ausgestaltung ist auf eine rechtssichere Branchenabgrenzung zu achten, die sicherstellt, dass eine gesetzliche Regelung nur Unternehmen trifft, deren Kerngeschäft Schlachten und Fleischverarbeitung ist. Für Betriebe des Fleischerhandwerks ist eine gesonderte Betrachtung möglich. Es sind ahndende Regelungen gegen Verstöße vorzusehen.

 

Diese Regelung ist absolut zu begrüßen. Die NGG, „Faire Mobilität“ und zum Beispiel auch der Konzernbetriebsrat von Vion North Food hatten dies schon länger gefordert.

Wichtig es auch das in den Eckpunkten bereits die Kerntätigkeiten als das Schlachten und Zerlegen von Fleisch definiert werden. Die Abgrenzung von Kern- und Randprozessen bei der Frage von Werkvertragsgestaltungen ist nämlich nicht so einfach. Hier könnte es den Versuch geben Schlupflöcher zu schaffen.

Dieselbe Gefahr besteht bei der Branchenabgrenzung. Auch hier könnten sich Schlupflöcher ergeben, wenn die Branchendefinition nicht weit genug gefasst wird. Es findet sich bereits im Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) mit Verweis auf § 6 Abs. 10 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AentG) eine Branchenabgrenzung der Fleischwirtschaft (Subunternehmen sind danach ebenfalls Unternehmen der Fleischwirtschaft, nicht nur die Schlachtereien). So wie die Eckpunkte zu verstehen sind, soll diese aber in Bezug auf das Werkvertragsverbot enger gefasst werden. In § 5 GSA findet sich bereits der Begriff des Fleischerhandwerks im Gegensatz zur Fleischwirtschaft.

Es wird wohlgemerkt auch Arbeitnehmerüberlassung ausgeschlossen. Was besonders zu begrüßen ist. Damit sind alle Werkvertragsbeschäftigten nach Inkrafttreten dieser Regelung mit Arbeitsverträgen fest in den Schlachthöfen direkt anzustellen. Jedes andere Szenario würde wieder eine Umgehung darstellen und darf nicht zugelassen werden. Schon jetzt sprechen die Arbeitgeber davon eigene Tochterfirmen zu gründen, um die Beschäftigten dort anzustellen und die Festanstellung weiter vermeiden zu können. Bei der Gesetzgebung muss also genau darauf geachtet werden, keine derartigen Schlupflöcher zuzulassen.

In diesem Zusammenhang fällt allerdings auf, dass keine Regelung zur Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung geplant ist. Weder Regelungen, um die Verbreitung von Mitbestimmung zu fördern, noch der Ausbau der Mitbestimmungsrechte in Bezug auf Werkverträge oder den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die Bundesregierung übersieht hier Tempo, Qualität und Nachhaltigkeit mit den Betriebsräten auf das betriebliche Arbeitsschutzsystem einwirken. Das nicht zu fördern ist eine vertane Chance. Auch ist zu befürchten, dass die anderen Regelungen eine längere Zeit brauchen, um sich positiv auf die Arbeitsbedingungen auszuwirken. Betriebsräte wirken sofort.

Um eine effektive Kontrolle von Unterbringungsbedingungen insbesondere in der Fleischbranche zu ermöglichen, sollen die eine Unterkunft stellenden Arbeitgeber einschließlich der Werkvertragsunternehmen verpflichtet werden, die zuständigen Behörden über den Einsatz sowie den Wohnort ihrer ausländischen Arbeitskräfte zu informieren

 

Jede Maßnahme, die die Kontrollen der Behörden erleichtert ist erst einmal zu begrüßen. Wenn aber nach Punkt 3 ohnehin fast alle Kolleg*innen mit festen Arbeitsverträgen angestellt werden müssen, haben die Arbeitgeber ohnehin alle erforderlichen Daten und könnten diese den Behörden zur Verfügung stellen.

Das Projekt „Faire Mobilität“ wird dauerhaft finanziell und rechtlich abgesichert, um ausländischen Beschäftigten ein unabhängiges und umfassendes Beratungs- und Informationsangebot in der jeweiligen Sprache zu den für sie geltenden arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen und den Hygiene- und Arbeitsschutzvorschriften niedrigschwellig zur Verfügung zu stellen. Es soll sichergestellt werden, dass die Beratung und Informierung ausländischer Arbeitnehmer durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projektes möglich ist.

 

Faire Mobilität soll finanziell und auch rechtlich abgesichert werden. Das ist sehr zu begrüßen. Wobei geklärt werden muss, was Faire Mobilität tatsächlich an Finanzierung und Regelungen braucht und was dann kommen wird.

Unklar ist, warum „Faire Mobilität“ rechtlich abgesichert werden muss. In welcher Weise operiert Faire Mobilität aktuell in Graubereichen?

Die Kontrollierbarkeit der Arbeitszeitaufzeichnung wird durch die Einführung einer verpflichtenden digitalen Arbeitszeiterfassung im Rahmen des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) verbessert.

 

Elektronische Zeiterfassungen können schwieriger manipuliert und besser kontrolliert werden. Das in Bezug genommene GSA (siehe weiter oben) sieht die Erfassung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit am Tag der Leistung bereits vor. Es bezieht sich aber nur auf Arbeitnehmer*innen und müsste also entsprechend angepasst werden. Insgesamt ist eine verpflichtende Arbeitszeiterfassung zu begrüßen

Der Bußgeldrahmen des Arbeitszeitgesetzes wird von 15.000 Euro auf 30.000 Euro

(analog zum Bußgeldrahmen des Mindestlohngesetzes) verdoppelt.

 

Eine Erhöhung des Bußgeldrahmens auf 30.000 € wird wenig zur Verbesserung der Lage beitragen. Zum einen ist 30.000 € weiterhin eine vergleichsweise kleine Summe. Zum anderen müsste sich in erster Linie die Praxis der Verhängung der Bußgelder verändern. Es werden nur selten Bußgelder verhängt und dann auch nur in geringer Höhe. Die Behörden hätten bereits jetzt die Möglichkeit die Höchstsumme von 15.000 € zu übersteigen, wenn der Arbeitgeber wirtschaftliche Vorteile aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, die 15.000 € übersteigen oder wenn die Ordnungswidrigkeit gehäuft vorkam (für jede nicht gewährte Ruhepause ein einzeln verhängtes Bußgeld).

Wie die LINKE es bereits bei Verstößen gegen das BetrVG fordert, müssten sich Strafen an den Rahmen des Strafgesetzbuches orientieren. Eine Privilegierung von Arbeitgebern, sie bei Verstößen nur mit geringeren Bußgeldern zu belegen ist nicht akzeptabel.

 

Prüfung, ob für alle Beschäftigten der Fleischwirtschaft (auch sogenannte Praktikantinnen und Praktikanten) eine hinreichende Absicherung für Unfall- und Gesundheitsrisiken besteht und Schließung eventueller Sicherungslücken.

Auf Wunsch unserer europäischen Partner wollen wir die bestehenden Informationswege zu Corona-Infektionen von in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern aus dem Ausland in geeigneter Form ausweiten, so dass die Bundesregierung die betroffenen Botschaften der Heimatländer über bestehende Risiken zeitnah informieren kann.

 

Aus Gründen der Infektionsprophylaxe halten wir es für sinnvoll diese Informationen auch mit den Herkunftsländern der Beschäftigten zu teilen.

Die Bundesministerien für Arbeit und Soziales sowie Ernährung und Landwirtschaft legen eine Studie zur „Durchsetzung rechtlicher Regelungen in der Fleischwirtschaft“ (Schwerpunkt Arbeitsbedingungen) auf, um mögliche Synergieeffekte bei der Kontrolle von Arbeits- und Arbeitsschutzrechten sowie Fleisch-, Hygiene- und Tierschutzvorschriften zu identifizieren und zu nutzen.

 

Wir sind der Auffassung, dass die Situation in den Schlachthöfen bereits ausreichend bekannt ist und genügend Vorschläge für effektiven Schutz des Tierwohls bestehen. Eine Studie und deren Auswertung braucht im Zweifelsfall nur Zeit. Stattdessen sollte sofort gehandelt werden.