Zur Zukunft unserer Partei

Wie muss sich DIE LINKE aufstellen? Wen muss sie ansprechen und in welche gesellschaftlichen Konflikte muss sie eingreifen? Was muss sich ändern, um wieder Erfolg zu haben?

Ein Diskussionsbeitrag von unserer Co-Landesvorsitzenden Franziska Junker

  • Ich würde gerne in einem Land leben, in dem die Demokratie unzerstörbar bleibt und schon in Familien, Kitas und Schulen gelehrt wird.
  • Ich würde gerne in einem Land leben, wo Alle auch Senioren und Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt, gleichberechtigt und finanziell gesichert leben können.
  • Ich würde gerne in einem Land leben, wo wertschätzendes Miteinander, Sozialismus, Kindeswohl, Klima und Tierschutz selbstverständlich sind.

Beim Grübeln über die Frage, wie ich als Co-Landesvorsitzende des Niedersächsischen Landesverbands auf die Probleme der Zukunft Antworten finden kann, endete ich irgendwann so: „Eigentlich ist die Sache weitgehend klar!“

Ich bin der Meinung, dass der Parteivorstand und die Landesvorsitzenden mit den Beschlüssen vom 10. Juni 2023, insbesondere mit dem „Plan 2025“, die richtigen Pflöcke eingeschlagen haben. Ich finde es richtig und wichtig, dass der Diskurs um die Partei so intensiv geführt wird. Ich werde ihn weiterhin sorgfältig verfolgen. Für mich als Praktikerin, die ihren Landesverband beisammenhalten und möglichst erfolgreich die anstehenden Wahlen bestehen will, steht der Weg eigentlich schon fest: „Der Comeback-Plan mit all seinen inhaltlichen und organisatorischen Implikationen ist die parteipolitische Richtschnur, entlang derer wir arbeiten und die Partei wieder auf solide Füße stellen können.“

Was wir vor Ort wollen, was wir tun können, was wir dazu brauchen, habe ich im Vorfeld viele Aktive des Landesverbands gefragt – und ich habe viele tolle Antworten bekommen, großartige Ideen, die ich mit Euch teilen möchte. Einige Pflastersteine für den Weg zu einer lebendigen, kraftvollen sozialistischen Partei. Ich trage Euch hier also nicht nur meine Gedanken vor, sondern die von vielen wunderbaren Genoss*innen. Erstens einige ganz praktische, zweitens aber auch welche zur inhaltlichen Konturierung der Linken.

  1. Der Erfolg oder Misserfolg einer linken Partei entscheidet sich vor Ort, nicht auf Twitter, in Facebook-Kommentaren oder bei Lanz
  2. Die Basisorganisationen, Stadtteilgruppen und Ortsverbände sind konsequent ins Zentrum der Arbeit der Landesvorstände und der Abgeordneten zu stellen.

Das A und O der Parteiarbeit ist unser direkter Kontakt zu den Bürger*innen. Was brauchen wir dafür? Wie stärken wir die Basisorganisationen? Wie können wir – trotz derzeit schwindender Ressourcen, ich muss das nicht ausbuchstabieren – vor Ort präsent und sichtbar sein?

  1. Wir müssen mit geeigneten Konzepten die bestehenden Strukturen stärken und so unsere Mitglieder in ihrer Arbeit und im Aufbau von aktiven Bezirks- bzw. Kreisverbänden unterstützen.
  2. Das Ziel, Mitglieder und auch Wähler*innen zu gewinnen verlangt nach Öffnung und Dialog. Und damit zuallererst nach Kontakten und Gesprächen vor Ort.
  3. Auch Betriebsgruppen sind nötig, um das zu schaffen, was Micha Brie den Gebrauchswert der Partei nennt. Und von wo aus wir die so dringend benötigten neuen Mitglieder gewinnen können.

Ob dafür Infrastruktur, zum Beispiel in Form eines Kreisbüros, verfügbar ist oder nicht, spielt für die Möglichkeiten, Haustürgespräche oder Sozialberatungen zu organisieren, eine ebenso große Rolle wie die Altersstruktur der Mitglieder oder wie ihre persönlichen Fähigkeiten und Interessen. Die sind von enormer Bedeutung für die Parteiarbeit vor Ort:

  1. Wer in meinem Kreisverband ist Gewerkschafter*in? Wer engagiert sich bei Fridays for Future? Wer hat Lust, Haustürgespräche zu führen und wer kann einen Demo-Truck ausrüsten? Wer fühlt sich mit Excel-Tabellen wohl? Wer hat Spaß an Telefonaktionen? Wer möchte lesen und diskutieren, wer Flyer verteilen? Und ganz wichtig: Wer hat eigentlich wie viel Zeit, sich für die Partei zu engagieren? Solche Informationen über die Mitglieder systematisch zu erfassen und für die Kreisvorstände unkompliziert zur Verfügung zu stellen würde ihre Arbeit effizienter und effektiver machen. Eine Plattform wie Zetkin (https://zetkin.org/en/zetkin/) wäre ein solches Werkzeug. So etwas muss ganz, ganz dringend her!
  2. Eine bereits jetzt realisierbare Sache ist zuverlässige Erreichbarkeit. Jede und jeder von uns – alle Abgeordneten, alle Funktionsträger*innen und natürlich auch die Landesvorsitzenden – sollen regelmäßig und untereinander koordiniert Sprechzeiten anbieten. Wenn kein Büro verfügbar ist: telefonische Erreichbarkeit organisieren oder Online-Angebote. Aber stets am besten so, dass sich die Möglichkeit im Stadtteil oder in der Gemeinde etabliert: Jeden Dienstag zu einer festen Uhrzeit ist der Landessprecher, ist die sozialpolitische Sprecherin oder ist der Bezirksabgeordnete erreichbar. Immer!
  3. Ließe sich überlegen, wie wirklich aus der Bevölkerung und entlang der Bedürfnisse der Vielen unser Programm vor Ort entwickelt werden kann? Wie wäre es, sich an den Haustüren erzählen zu lassen, wie ein vollkommener Tag der Leute ausschauen könnte? Was brauchen sie und was wünschen sie sich für ein gutes Leben im Viertel?
  4. Das Ganze soll geschehen in einer Partei die eine „ganz andere respektvolle Debattenkultur“ entwickelt. Unser Umgang miteinander auf Mitgliederversammlungen oder Parteitagen ist gelegentlich nicht nur Futter für die Journalist*innen, sondern oft genug abschreckend besonders für neue Mitglieder. Wir müssen wertschätzend, fröhlich und einladend werden! Und glaubwürdig. Und zwar, indem Parteibeschlüsse nach innen diskutiert und nach außen geschlossen vertreten werden. Und indem sozialistischer Anspruch und eigene Praxis übereinstimmen. Nur als Stichworte dazu: Deckelung der Diäten für Abgeordnete, Soli-Abgaben oder auch Mandatszeitbegrenzungen, um dem Abheben entgegenzuwirken!

Eins vorab: Eine gute Wirtschafts- und Sozialpolitik ist die beste Prävention gegen alles Mögliche und steht nicht im Widerspruch zum Kampf gegen die Klimakatastrophe, für die Rechte Geflüchteter und für die Rechte der Queer-Community. Wie wehren wir uns nun gegen Rechts und wie kann sich die LINKE als Partei hier aufstellen?

  • Eine materialistische, wissenschafts- und faktenbasierte Sicht auf die Welt ist die erste Voraussetzung
  • Feministische und Queer-Bewegung haben über die Jahre erhebliche Erfolge errungen. Gleichzeitig laufen diese Erfolgsthemen in der LINKEN für die Funktionär*innen erkennbar, aber in der Außendarstellung eher unter der Hand.
  • Auch die Klimabewegung war sehr erfolgreich. Aber auch dieses Thema läuft mindestens wegen der Dissonanz in der Bundestagsfraktion unterhalb der Wahrnehmungsschwelle nach außen.
  • Die großen Fluchtbewegungen der letzten 9 Jahre haben enorme Solidarität in der Gesellschaft freigesetzt, die meines Erachtens nirgendwo richtig politisch angedockt ist. Auch hier treten wir mit dem Standpunkt zur Verteidigung des Asylrechts verschämt oder nur verteidigend auf.
  • Warum treten wir auf diesen Gebieten nicht offensiver als klarer Gegenpart zur Rechten auf? „Grüner als die Grünen“ im Klimaschutz, radikaler als die defensiven Grünen und freiheitlicher als die FDP mit Blick auf Emanzipation und Frauen/Queer- Rechte. Und natürlich als antifaschistischer als alle anderen Parteien. Eine Partei für eine friedliche und soziale Welt!

Diese Punkte bieten viele affektive Mobilisierungsmöglichkeiten gekoppelt mit unseren politischen Alleinstellungsmerkmalen.

  • All dies muss dann unter einer Ausrichtung auf die offene Gesellschaft und verlässliche Lebensführungsperspektiven als positive Erzählung unterfüttert werden mit der Erkenntnis, dass dies alles im Kapitalismus nicht (vollständig) zu haben ist.
  • Die Gewerkschaften schaffen es immer wieder, ihre Mitgliedschaft für progressive Ideen abzuholen und ducken sich nicht weg. Das müssen wir auch! Wenn wir hier nicht aktiv für die offene Gesellschaft und für verlässliche Lebensperspektiven kämpfen, stärken wir die autoritären Kräfte.

Ich möchte hinzufügen: Mit alledem haben wir eine gute Chance hinzubekommen, was am Ende unseres „Plans 2025“ steht: Souverän wieder in den Bundestag einzuziehen. Ich wünsche uns allen gemeinsam Mut, Ausdauer und Leidenschaft für den Neuanfang. Ob der gelingt, liegt bei uns allen.