Mythos "Clan-Kriminalität" kritisch hinterfragen

Heute wurde von Niedersachsens Innenministerin Behrens und Justizministerin Wahlmann das gemeinsame „Lagebild von Polizei und Justiz zur Clankriminalität 2022“ in Niedersachsen vorgestellt. DIE LINKE kritisiert den Begriff der „Clan-Kriminalität“ sowie die Praxis teils unverhältnismäßiger Razzien. Die Partei fordert zudem, künftig Wirtschaftskriminalität stärker ins Visier von Ermittlungen zu nehmen.

Dazu sagt Marianne Esders, Mitglied im Landesvorstand der Partei DIE LINKE Niedersachsen:

„Der Mythos der sogenannten Clankriminalität ist ein gefährliches, rechtspopulistisches Narrativ, das seit ein paar Jahren verstärkt durch mediale Berichterstattung und die Aufmerksamkeit der Politik für reißerische Stimmungsmache gegen Menschen mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte inszeniert und mit einem statistisch fragwürdigen Lagebild verfestigt wird.

Wie schon in den letzten Jahren zeigt auch das ´Lagebild von Polizei und Justiz zur Clankriminalität 2022´, dass die vermeintliche ‚Clankriminalität‘ in Niedersachsen nur einen verschwindend geringen Anteil im Bereich der Organisierten Kriminalität ausmacht. Hinzu kommt, dass auch Bagatelldelikte, wie niedrigschwellige Verkehrsstraftaten, Beleidigungen und Körperverletzungen, in die Statistik einfließen. Diese wird somit aufgebauscht und ist nicht repräsentativ für die reale Lage. Um ein Mehrfaches schwerer ins Gewicht fallen in Niedersachsen die vom Bund registrierten Delikte der Wirtschafts- und Steuerkriminalität, die auch finanziell in viel größerem Ausmaß Schaden anrichten. Einen Lagebericht zur Wirtschaftskriminalität in Niedersachsen gibt es aber nicht.

Auch die von einigen Bundesländern gefahrene ‚Strategie der tausend Nadelstiche‘ ist ein Instrument, das eingewanderten Menschen, die sich vorbildlich integrieren, zum Beispiel indem sie ein Geschäft aufgebaut haben und damit erfolgreich sind, das Leben erschwert. Sei es ein gut laufender Späti oder Kiosk, ein viel besuchter Friseursalon oder Barber-Shop, ein Gemüseladen oder eine Shisha-Bar, in der man sich gerne trifft. Wenn der Laden erst einmal von Polizist*innen in Sturmmasken und Kampfmontur gestürmt wurde, in Kooperation mit Gesundheitsbehörde, Zollamt und Finanzamt, dann werden die dadurch befeuerten Vorurteile bei vorbeigehenden Passant*innen verstärkt und gefestigt. Als Folge bleibt die Kundschaft aus, der Umsatz verringert sich. Festgestellt wird bei diesen Razzien meist nichts oder es werden nur Bagatelldelikte entdeckt.

Statt die begrenzten Ressourcen der Polizei so zu binden und zu verschwenden, sollten die strukturell rassistischen Muster bei den Ermittlungen und Einsätzen kritisch hinterfragt werden. Zudem muss den von jenen Einsätzen betroffenen Menschen Gehör verschafft werden. Die Probleme unserer Gesellschaft lösen sich nicht, indem Menschen mit Einwanderungsgeschichte noch weiter ausgegrenzt werden. Wir müssen dort ansetzen, wo schwerwiegende Kriminalität stattfindet, bei den betrügerischen Unternehmen, die ihre Vermögen nicht versteuern und, wie das Beispiel Wirecard gezeigt hat, über Jahre unbehelligt in betrügerische Machenschaften in mehrstelliger Millionenhöhe verwickelt sein können, ohne dass sie in Verdacht gerieten. Die Fallzahlen zur Wirtschaftskriminalität lagen in der Vergangenheit drastisch über jenen der sogenannten Clankriminalität. Hier wäre die Regierung gefordert, tätig zu werden.“