Neue Namen machen noch keine Änderung aus – Die Sozialstaatsreform 2025 der SPD

Inge Hannemann

Ein Kommentar von Inge Hannemann:

Die Geister, die ich rief … aus der „Agenda 2010“ wird die „Sozialstaatsreform 2025“, aus „Hartz IV“ das „Bürgergeld“, wenn es nach dem Wunsch der SPD für die nächsten fünf bis zehn Jahre geht. Die angeschlagene SPD versucht mit ihrer Positionierung ein neues soziales Profil zu legen und verabschiedete ein neues Konzept. Als Arbeiterpartei wird das „Recht auf Arbeit“ betont und damit gleichzeitig das Bedingungslose Grundeinkommen konsequent abgelehnt. Das 17-seitige Konzept ist mit dem Titel „Arbeit-Solidarität-Menschlichkeit. Ein neuer Sozialstaat für eine neue Zeit“ überschrieben und gliedert sich in drei Teile: „Chancen und Schutz in der neuen Arbeitswelt, Kinder absichern und ihnen Bildung und Teilhabe ermöglichen: Eine sozialdemokratische Kindergrundsicherung entwickeln, Das Bürgergeld – mehr Sicherheit und Respekt“.

Die SPD erwähnt mit Recht die Digitalisierung und deren möglichen Veränderungen in der Arbeitswelt. Hierbei sieht sie Chancen für neue Arbeit und erkennt die Sorgen der Menschen „ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder nur noch schlecht bezahlte und unsichere Arbeit zu finden“. Dem stellt sie eine perspektivische Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, mehr Sozialpartnerschaft und Tarifbindung, Angleichung der Löhne und Arbeitsbedingungen in Ost und West in Aussicht. Die Feststellung, dass neue Formen der Selbstständigkeit, Werkverträge, Leiharbeit oder Befristungen eine Entgrenzung der Betriebsorganisation sind, führt in der Konsequenz leider nicht dazu, dass die SPD hier eine radikale Abkehr fordert. Vielmehr fokussieren sie sich dabei auf die Bekämpfung der Solo-Selbstständigkeit durch die Ausbeutung der Plattformwirtschaft und wollen, dass diese als reguläre Betriebe gelten. Ergänzend möchten sie die Brückenteilzeit ausbauen und Home Office gesetzlich verankern.

Längeres Arbeitslosengeld und Qualifizierungstricks

Damit nicht erst eine Arbeitslosigkeit entsteht, planen sie das zum 1. Januar in Kraft getretene „Qualifizierungschancengesetz“ zu einem gesetzlichen Rechtsanspruch auf Weiterbildung zu verankern. Diese neue Qualifizierungsgarantie soll einen Umschulungsanspruch, gepaart mit einer Lohnersatzleistung, sofern ein Arbeitsplatzverlust droht sicherstellen. Die bisherige Umschulungsregelung soll von zwei Jahren auf drei Jahre verlängert werden. Entsprechend wird die Bundesagentur für Arbeit zur Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung umbenannt. Überhaupt soll die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter als verständnisvoller Partner zur Seite stehen. Partnerschaft auf Augenhöhe, die Einführung von Lotsen durch den Behördendschungel und eine Teilhabevereinbarung, die die bisherige Eingliederungsvereinbarung zwischen Jobcenter und Erwerbslosen ersetzen soll, sind Bausteine um „den Einzelnen und sein Schicksal zu respektieren“. In den ersten zwei Jahren des Arbeitslosengeld-II-Bezuges soll keiner mehr seine Wohnung verlassen müssen, weil sie ein paar Quadratmeter zu groß oder zu teuer ist. Auch soll in dieser Zeit keine Vermögensüberprüfung stattfinden. Ein verlängerter weicherer Fall bis eine bisherige Lebensleistung in das bestehende System abstürzt. Am bestehenden Regelsatz (424 Euro für Alleinstehende) wird festgehalten. Einzig allein das verlängerte Arbeitslosengeld I, durch Qualifizierungstricks und Alter schiebt den Beginn von Hartz IV hinaus. Das Arbeitslosengeld I soll um bis zu neun Monate länger an Ältere bezahlt werden. Ist es zum einen das Arbeitslosengeld-Q und dem Anspruch auf gezielte Weiterbildung, welches das Arbeitslosengeld I um bis zu 24 Monate verlängert, ist es zum anderen die Anspruchsdauer. Wer mindestens 20 Jahre Beitragszeiten aufweist, erhält 3 Monate länger Arbeitslosengeld I. Bei 25 Jahren erhöht sich der Anspruch um 6 Monate und ab 30 Jahren um 9 Monate. Ab 58 Jahren kämen Erwerbslose damit auf 33 Monate Bezugsdauer, statt bisher auf bis zu 24 Monate.

Sanktionen bleibt im Kern bestehen

Die Sanktionen durch die Jobcenter bei den über 25-jährigen und deren Frage, ob diese in nachhaltige Erwerbstätigkeit führen, werden derzeit vom Bundesverfassungsgericht Karlsruhe geprüft. Die Sozialstaatsreform 2025 möchte sinnwidrige und unwürdigeSanktionen abschaffen. Dabei stellt die SPD fest, dass die strengeren Sanktionen bei den unter 25-jährigen offenkundig kontraproduktiv sind. Um eine drohende Obdachlosigkeit abzuwenden, sollen die Sanktionen bei den Mieten abgeschafft werden. Eine komplette Streichung der Sanktionen lehnen sie jedoch ab. Das neue Bürgergeld soll in Zukunft spezielle Bedarfe und Härten mit einem Zuschuss abfedern. Dieses gilt wohl insbesondere für die sog. „weiße Ware“ wie eine Waschmaschine, die plötzlich ihren Geist aufgibt oder gleichzeitig die alte Winterjacke aufgetragen ist. Bisher gab es als Kann-Bestimmung für die „weiße Ware“ ein Darlehen, das mit monatlichen zehn Prozent von den 424 Euro abbezahlt wurde.

Kindergrundsicherung gegen Kinderarmut

Die Erkenntnis, dass jedes fünfte Kind „in unterschiedlicher Form von Armut betroffen ist“ verbindet das Konzept mit dem Starke-Familien-Gesetz und einer neuen Kindergrundsicherung. Damit sollen Kinder aus Hartz IV geholt werden und bündelt bisherige möglichen Leistungen, wie zum Beispiel Kindergeld, Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag, Bildungs- und Teilhabepaket aus dem SGB II. Besonders Kinder aus alleinerziehenden Haushalten sollen davon profitieren. Als Betrag werden 408 Euro pro Kind und Monat vorgeschlagen und orientiert sich am Einkommen der Eltern. Das Bündnis „Kindergrundsicherung“, zusammengesetzt aus Sozialverbänden, spricht im Übrigen von einem verfassungsrechtlich notwendigen Existenzminimum in Höhe von 628 Euro monatlich. Dieses setzt sich aus dem sächlichen Existenzminimum von 408 Euro und dem Freibetrag für die Betreuung und Erziehung bzw. Ausbildung 220 Euro zusammen. Für Sonder- oder Mehrbedarfe im Falle behinderte oder kranker Kinder oder bei überdurchschnittlichen Wohnkosten, Umzügen und Klassenreisen soll weiterhin der Grundsicherungsträger zuständig sein, so das Bündnis weiter. Diese Leistungen sollen bis zum 18. Lebensjahr gelten.

Nicht alles was glänzt ist Gold

Wir können mit Fug und Recht sagen: Wir lassen Hartz IV hinter uns und ersetzen es nicht nur dem Namen nach“, so SPD-Chefin Nahles in ihrer Pressekonferenz. Hartz IV führt bis heute zur Stigmatisierung, erpresst Erwerbslose durch die Sanktionen in den Niedriglohnsektor und geht oftmals an den Lebensläufen vorbei. Passgenaue Eingliederungsvereinbarungen, wie sie bereits gesetzlich verankert sind, haben da bisher wenig Abhilfe geschafft. Berufliche Lebensleistungen werden durch jede zumutbare Arbeit dequalifiziert. Allein der Begriff „Jobcenter“ verursacht Ängste oder ein Engegefühl in der Brust bei Erwerbslosen. Nun könnte die SPD, neben der Umbenennung des Hartz-IV-Begriffes natürlich auch die Jobcenter neu titulieren. Ändert es etwas an der Sache? Nein. Solange die Sanktionen in ihrem Kern bestehen bleiben, solange der künstlich heruntergerechnete Regelsatz in der Armut steckenbleibt, solange haben die Menschen nichts von einer Sozialstaatsreform, die sich bereits im System befinden. Überhaupt befasst sich das Konzept mehrheitlich mit Personen, die sich noch in Arbeit befinden oder die irgendwann in den nächsten fünf bis zehn Jahren erwerbslos werden (Weiterbildungsgarantie). Einzig allein Kinder werden mit einer Kindergrundsicherung in Teilen berücksichtigt. Allerdings fehlt hier die Definition bis wann ist man Kind und ab wann ist man jugendlich und die Kindergrundsicherung greift nicht mehr?! Ab dem 15. Lebensjahr werden junge Menschen in die Jobcenter eingeladen, müssen oftmals ihre Schulzeugnisse vorlegen, um eine Entscheidung zu fällen, ob sich ein weiterer Schulwerdegang noch „lohnt“ oder ob auf eine Ausbildung statt Studium gedrängt wird, um die Hilfebedürftigkeit der Familie zu verringern. Die Einbeziehung der jungen Menschen ab dem 15. Lebensjahr in die Kindergrundsicherung würden die bundesweiten Jugendberufsagenturen obsolet machen. Davon ist in diesem Papier nichts zu lesen.

Eine Entschuldigung bringt die Parteiführung bis heute nicht über die Lippen. Vielmehr sei die Reform „richtig gewesen“, so Nahles weiter und man habe sich nun einer „differenzierten Bewertung“ unterzogen. Das Konzept zeigt eklatante Schwächen auf und stärkt diejenigen, die frisch in die Erwerbslosigkeit fallen oder sich noch in Arbeit befinden. Erwartet habe ich eine Weiterbildungsgarantie auch für Erwerbslose in den Jobcentern und nicht das Hängenbleiben an Trainingsmaßnahmen, die oftmals Parkcharakter aufweisen, aber für den Arbeitsmarkt zumeist keine Gültigkeit besitzen. Weiterhin fehlt die Forderung, dass eine Wiederaufnahme der Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung bei Hartz IV geleistet wird. Alleine schon, um die starre 35 Jahre Regelung für eine Grundrente möglicherweise zu erreichen. Dazu habe ich mich schon mal hier geäußert. Positiv bewerte ich den Zuschuss zur „weißen Ware“, die vorsichtigen Ansätze der Kindergrundsicherung und den längeren Anspruch auf das Arbeitslosengeld I. Das Prinzip „Fördern und Fordern“ bleibt bestehen und damit bleiben auch Ängste, Scham und die Gefahr einer Implosion oder Explosion. Gewünscht und erwartet habe ich mehr Mut Tatsächliches an der Agenda 2010 zu ändern, mehr Stärke in der Großen Koalition und die Einbeziehung aller von Erwerbslosigkeit in den Jobcentern Betroffenen. Abzuwarten bleibt die Entscheidung aus Karlsruhe, die voraussichtlich deutlich auf die Entschärfung der Sanktionen gehen wird (sonst würde die SPD diese wohl nicht so sicher fordern) und abzuwarten bleibt die nächste Bundestagswahl 2021, die zeitiger kommt, als voraussichtlich die Sozialstaatsreform 2025. Und dann werden die Karten vermutlich neu gemischt.