»Die SPD hängt ihr Fähnchen in den Wind«

In Hannover wird gegen die von der großen Koalition geplante Verschärfung des niedersächsischen Polizeigesetzes demonstriert. Gespräch mit Anja Stoeck

Interview: Markus Bernhardt

Am kommenden Sonnabend findet in Hannover eine Großdemonstration gegen die Verschärfung des niedersächsischen Polizeigesetzes statt. Was kritisieren Sie an den geplanten Änderungen?

Mit dem aktuellen Gesetzentwurf für das »Niedersächsische Polizei- und Ordnungsbehördengesetz«, NPOG, will die SPD-CDU-Landesregierung polizeiliche Befugnisse stark ausbauen und demokratische Freiheits- und Grundrechte beschneiden. So sollen künftig Bürgerinnen und Bürger ohne bewiesene Straftat einfach auf Verdacht festgenommen und bis zu 74 Tage eingesperrt werden können. Allein das wäre ein schwerer Angriff auf die Menschenrechte und verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Anders als bisher soll die Polizei in Zukunft schon dann Menschen überwachen, verfolgen und festnehmen dürfen, wenn ihnen unterstellt wird, über Straftaten nachzudenken. Das bedeutet de facto die Aufhebung der strikten Trennung von polizeilicher und nachrichtendienstlicher Tätigkeit.

Schlagwörter wie »allgemeiner Terrorverdacht«, Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, Lauschangriff, genetischer Fingerabdruck, elektronische Fußfessel und »verdachtsunabhängige Kon­trolle« werden genutzt, um die Debatte um die »innere Sicherheit« zu befeuern. Dabei ist es nicht Aufgabe der Innenpolitik, Menschen zu bespitzeln und pauschal unter Verdacht zu stellen. Es ist ihre Aufgabe, die Bürgerinnen und Bürger zu schützen, auch und vor allem vor staatlichen Übergriffen.

Während die SPD gegen die Neufassung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes auf die Straße ging, verschärft die »rot-schwarze« Koalition in Niedersachsen das Gesetz in gleichem Ausmaß. Wie glaubwürdig ist die SPD vor diesem Hintergrund?

Sie hängt wie so oft ihr Fähnchen in den Wind, wie es gerade passt. Diese Verlogenheit zieht sich ja schon sehr lange durch die Geschichte der SPD.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, SPD, hatte nach den Protesten anlässlich des G-20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg vorgeschlagen, das Vermummungsverbot auf Demonstrationen bundesweit nur noch als Ordnungswidrigkeit und nicht mehr als Straftat verfolgen zu lassen. So ist derzeit auch die Rechtslage in Niedersachsen. Jetzt aber will die Landesregierung Vermummung wieder strafrechtlich verfolgen. Wie erklären Sie sich diesen Sinneswandel?

Ist es wirklich ein Sinneswandel? Oder entspricht es nicht dem normalen Agieren der SPD wie auch dem von CDU, CSU, Grünen und FDP? Wahlversprechen macht man vor der Wahl. Hinterher räumt man ein, dass man sich eben nur versprochen hat. Dies passiert in Niedersachsen ja gerade nicht nur beim NPOG, sondern auch bei der ursprünglich zugesagten Einstellung von Lehrerinnen und Lehrern, mit der Inklusion, dem Bekämpfen des Ärztemangels auf dem Land usw. Die CDU, der kleinere Koalitionspartner in Niedersachsen, hat immensen Einfluss.

Die Linke ist nicht im Landtag von Niedersachsen vertreten. Haben Sie in dieser Angelegenheit trotzdem Möglichkeiten, Druck auf die Landesregierung aufzubauen?

Klar. Wir sind aktiver Teil des Bündnisses »#noNPOG« und von lokalen Bündnissen. Zu der Demonstration am 8. September rufen wir selbstverständlich mit auf und mobilisieren nach Hannover. Außerdem leisten wir landesweit in öffentlichen Veranstaltungen Aufklärungsarbeit.

Mit Ausnahme von Thüringen novellieren aktuell alle Bundesländer ihre Polizeigesetze oder haben das bereits getan. Begründet wird dies meist mit einer angeblich zunehmenden terroristischen Gefahr. Können Sie das nachvollziehen?

Das kann ich nicht nachvollziehen. Die beste Prävention wäre soziale Sicherheit, das hat Die Linke immer schon gesagt. Die terroristische Gefahr wird nur herbeigeredet, um die Gesetzesverschärfungen zu rechtfertigen. In Wirklichkeit geht es natürlich darum, Menschen noch besser und allumfassender überwachen zu können, uns zu gläsernen Menschen zu machen und Angst zu schüren.