Hamburg: Ein Messerangriff, ein Systemversagen – und die falschen Debatten
Der schreckliche Angriff am Hamburger Hauptbahnhof macht viele Menschen sprachlos. Eine Frau verletzt 18 Menschen mit einem Messer – und die politische Rechte nutzt das sofort für ihre Hetze: gegen Obdachlose, gegen psychisch Erkrankte, gegen „den Sozialstaat“. Auch in Niedersachsen plant die Landesregierung eine Vereinfachung von Zwangseinweisungen. Dabei liegt das Versagen an ganz anderer Stelle.
Die Täterin wurde einen Tag vor der Tat aus einer psychiatrischen Klinik entlassen – direkt in die Obdachlosigkeit. Ohne Unterkunft, ohne Betreuung, ohne Perspektive. Für mich ist klar: Was hier passiert ist, war nicht nur eine persönliche Tragödie, sondern ein politisches Armutszeugnis. Wer Menschen in akuter psychischer Krise in ein Nichts entlässt, braucht sich über Eskalationen nicht zu wundern.
Wir haben in Niedersachsen – wie im ganzen Land – ein kaputtgespartes System. In der Psychiatrie fehlen Fachkräfte, Plätze, ambulante Strukturen. Die Gesundheitsversorgung ist auf Profit getrimmt statt auf Fürsorge. Fallpauschalen entscheiden über Aufenthaltsdauer – nicht der Zustand der Patientin oder des Patienten.
Statt endlich die psychiatrische Versorgung auszubauen, ambulante Hilfen zu stärken und Wohnraum für psychisch erkrankte Menschen zu schaffen, wird jetzt nach autoritären Mitteln gerufen. Mehr Zwangseinweisungen bedeuten aber nicht mehr Schutz – sie zerstören Vertrauen, vertiefen die Angst vieler Betroffener und verschärfen das Klima der Ausgrenzung.
Ich warne davor, psychische Erkrankungen pauschal mit Gewalt zu verknüpfen. Solche Stigmatisierung ist nicht nur fachlich falsch – sie ist brandgefährlich. Denn sie trifft nicht nur die wenigen Einzelfälle, sondern Millionen Menschen, die mit psychischer Erkrankung leben – friedlich, still, oft am Rande der Gesellschaft.
Wir brauchen keine stärkere Polizei gegen psychisch Erkrankte – wir brauchen endlich einen Sozialstaat, der diesen Namen verdient. Menschen in Krisen brauchen Begleitung, eine Wohnung, ein soziales Netz. Sicherheit entsteht durch Solidarität, nicht durch Repression.
Wer diesen Angriff nutzt, um erneut gegen Hilfsbedürftige zu hetzen, betreibt nichts anderes als Brandstiftung am gesellschaftlichen Zusammenhalt – und ebnet der AfD den Weg. Ich sage: Schluss damit. Es ist Zeit für eine Politik der Menschlichkeit.
Thorben Peters
Landesvorsitzender der Linken Niedersachsen